In ihrem Buch beschreibt Claudia Storm ihre Selbstentdeckungsreise. Ihre schwierige Kindheit hat schmerzhafte Spuren in ihrem Körper hinterlassen, von der Medizin mit Fibromyalgie und Polyarthritis bezeichnet. Claudia Storm gibt sich nicht mit den Diagnosen und den damit verbundenen eingeschränkten Heilungsaussichten zufrieden. Sie will herausfinden, wie ihre körperlichen Probleme mit ihrer Geschichte und den Verletzungen, die hier passiert sind, zusammenhängen. Mit viel Entschlossenheit, Ausdauer und Beharrlichkeit beginnt die Innenreise mit der Hilfe des Atems.
„Wenn wir meinen, unser Leben gerate mal wieder aus den Fugen, können wir unserem Atem lauschen. Wir können darauf vertrauen, dass er uns an die Ursache unseres Problems führen wird.“ (S. 18)
Sie arbeitet mit einem integrativ arbeitenden Atemcoach, der sie mit viel Einfühlsamkeit zurück zu den Traumen der Kindheit führt. Anfangs geht die Erzählung im Buch von einer Atemsitzung zur nächsten. Jede Sitzung konfrontiert mit den Themen, die sich in den verschiedenen körperlichen Beschwerden ausdrücken. Sie lernt, die Schmerzen als Botschaft zu verstehen, die sich offenbart, wenn die Aufmerksamkeit beim Schmerz bleibt und mit Hilfe des Atems als Stütze und Begleitung durchgespürt wird. Oft stellt sich eine Erleichterung ein, manchmal ereignen sich kleine Wunder, manchmal scheint der Prozess auf der Stelle zu treten.
Die Kindheit war besonders schwer. Schläge und sexueller Missbrauch bedeuten eine Last fürs Leben und brauchen viel Zeit, um aufgearbeitet zu werden.
Nach einiger Zeit der Innenerforschung meldet sich ein verlorener Zwilling: „Es gibt einen Grund, warum ich mich schon seit frühester Kindheit allein und als anders empfinde. Ich habe meinen Zwillingsbruder schon frühzeitig verloren.“ (S. 49). Es gilt, die vielen Facetten dieser Thematik durchzuarbeiten: Das Trauma des Abschieds, die Verlustängste und Schuldgefühle. Schließlich gelingt die Aussöhnung mit diesem Schicksal und der Zwillingsbruder wird ihr bald ein treuer Begleiter bei der Abenteuerfahrt im Dschungel der Gefühle.
Die Arbeit mit dem inneren Kind ist immer wieder wichtig, um das eingebrochene Selbstverständnis wieder aufzubauen. Sie braucht viel Geduld, denn ein vielfach beladenes Kind kann sich erst nach langsamer Annäherung öffnen und Vertrauen aufbauen.
Nach einigen Jahren der Atem-Einzelerfahrung entschließt sich Claudia, selber die Ausbildung anzugehen und lernt in der Trainingsgruppe viel dazu. Im Anhang kann man anhand der Protokolle nachlesen, wie kompetent sie Atemsitzungen leitet und Menschen auf ihrem Weg weiterhilft.
Das Buch schließt mit einem langen Gedicht mit dem Titel „Glücklich sein“, aus dem hier noch ein paar Zeilen zitiert werden:
„Ich atme.
Ich schließe die Augen.
Ich atme verbunden und bewusst.
Ich fühle die Blockade und den Schmerz,
aber auch den Raum und die Stille in mir.
Alles im Leben ist meine Entscheidung und nun habe ich die Wahl.
Das zu begreifen,
dem verletzten und geprägten Körper dies zu erlauben
stößt auf inneren Widerstand.
Die Komfortzone zu verlassen,
obwohl das Glück vor Augen sichtbar,
tut weh.
Es ist die Angst vor dem Unbekannten,
vor dem bisher noch nicht ’Erfühl’baren,
denn im Drama, in meiner selbst kreierten Welt,
da kenne ich mich bestens aus.
Warum sollte ich diesen Zustand also verlassen wollen?
Ich atme ein, ich treffe jetzt die Entscheidung.
Ich atme aus, ich wage den Schritt nach vorn.“
Es ist ein Buch, das mit viel Herzblut geschrieben ist, das keine Wunder verspricht, aber viel Mut gibt. Denn die Autorin hat selber viel Mut bewiesen und kann deshalb authentisch aufzeigen, dass das Angehen der inneren Themen mit Beharrlichkeit und Beständigkeit lohnend ist.
Lohnend ist der Gewinn einer neuen Sichtweise: Wir sind der Ursprung und der Lösungspunkt unserer Probleme. Wir sind nicht mehr Opfer widriger Umstände oder missgünstiger Mitmenschen. Als Erwachsene können wir in jedem Moment die Verantwortung für unsere Erfahrungen übernehmen und in uns ihren Sinn erkunden.
Wilfried Ehrmann im Mai 2022