Schamheilung in der Atemtherapie (ein Bericht aus der aktuellen atman-Zeitung, Wilfried Ehrmann)
Es gibt einen Atem, der ist Scham und Ersticken, und es gibt einen anderen Atem, den Atem der Liebe, er öffnet für das Unendliche
Rumi
Die Scham ist ein wichtiges Grundgefühl, das in vielen Situationen unseres Lebens präsent ist. Er macht uns darauf aufmerksam, dass wir soziale Wesen sind und auf die Bedürfnisse unserer Mitmenschen Rücksicht nehmen müssen … Ohne die Rückmeldung aus unserem Schamsystem würden wir uns rücksichtslos und unverschämt verhalten.
Die andere Seite der Scham besteht darin, dass sie unseren Selbstausdruck einschränkt und unseren Selbstwert mindert. Diese Scham kann toxisch werden, wenn sie zu einer Gewohnheit der Selbstabwertung und Selbstverkleinerung führt … Sie kann sich auch im Abwerten und Verurteilen von anderen Menschen sowie in allen anderen Formen der Unverschämtheit Luft machen.
Die überschießende, übertriebene und krankmachende Scham braucht Heilung … Beschämungen bestehen darin, dass uns das Lebensrecht und der Wert als Individuum abgesprochen oder an die Erfüllung von Bedingungen geknüpft wurde. Eltern, die ihrem Kind signalisieren, dass es mit bestimmten Gefühlen (in der frühen Kindheit), mit bestimmten Verhaltensweisen (in der späten Kindheit) oder mit bestimmten Gedanken und Ideen (in der Pubertät) unerwünscht ist, beschämen es. Sie vermitteln ihm, dass es nicht in Ordnung ist, so wie es ist, und dass es keine Achtung verdient, so wie es sich verhält oder was ihm wichtig ist. Das Absprechen der eigenen Würde und Achtung ist gleichbedeutend mit dem Absprechen der Zugehörigkeit zum Sozialsystem.
Die Schamatmung
Wie jedes andere Gefühl verändert auch die Scham die Atmung. Sobald wir uns schämen, atmen wir seichter. Wir schränken unser Atemvolumen ein. Das Zwerchfell, dass uns mit dem Bauch und seiner Lebenskraft verbindet, wird kaum genutzt, sodass nur der obere Brustbereich in die Atembewegung einbezogen ist, ähnlich der Angstatmung, aber schwächer und seichter. Wir machen uns kleiner und unwichtiger durch die Beschränkung der Atmung. Wir ziehen uns nach innen zusammen und wollen möglichst wenig Raum einnehmen und möglichst wenig Energie für uns beanspruchen … niemand soll merken, dass ich da bin und eventuell sogar Ansprüche auf meine Daseinsberechtigung und Achtung stelle.
… Sobald wir bewusst einen stärkeren Atemzug nehmen, lösen wir uns aus dem Bann des Schamgefühls. Automatisch richten wir uns auf und dehnen unseren Bauchraum. Wir verbinden uns mit der Lebenskraft, die dort schlummert. Die Brust hebt sich nach oben und wir spüren, dass uns mehr Kraft und Lebendigkeit durchströmt. Durch die Veränderung unserer Körperhaltung und unserer Atmung stärken wir auf der physiologischen Ebene unseren Selbstwert und spüren unmittelbar die Wiederherstellung unserer Würde. Volles und kräftiges Amen verträgt sich nicht mit der Scham, denn es symbolisiert das Recht auf Dasein und Geachtetwerden.